Typische Herausforderungen in der Multifamilientherapie
Typische Herausforderungen in der systemischen Multifamilientherapie
Ein Überblick für Fachkräfte und Eltern
Die systemische Multifamilientherapie (MFT) ist ein kraftvoller Ansatz, der Familien nicht nur individuell, sondern im Miteinander stärkt. Mehrere Familien arbeiten gemeinsam in einer festen Gruppe an ihren Herausforderungen – unterstützt von einem therapeutischen Team. Dabei profitieren die Familien vom Erfahrungsaustausch, der gegenseitigen Unterstützung und von der Erkenntnis: Wir sind mit unseren Problemen nicht allein.
Gleichzeitig bringt dieser gruppenbasierte Ansatz auch einige typische Schwierigkeiten mit sich – sowohl für die begleitenden Fachkräfte als auch für Eltern. Der folgende Artikel beleuchtet die häufigsten Herausforderungen und bietet Impulse für einen hilfreichen Umgang damit.
1. Unterschiedliche Familien, unterschiedliche Themen
In einer MFT-Gruppe kommen Familien mit sehr unterschiedlichen Lebenslagen und Problemen zusammen: Ein Kind zeigt aggressives Verhalten, eine andere Familie steckt in einer Trennung, eine dritte kämpft mit schulischen Sorgen oder Ängsten.
Für Eltern:
Das kann zunächst irritierend wirken: „Was hat das mit uns zu tun?“ Doch gerade in der Unterschiedlichkeit liegt die Chance. Hinter vielen Problemen stehen ähnliche Grundthemen – zum Beispiel: Wie sprechen wir miteinander? Wie gehen wir mit Stress um? Wer übernimmt Verantwortung?
Für Fachkräfte:
Die Herausforderung besteht darin, sowohl Raum für individuelle Anliegen zu schaffen als auch verbindende Themen zu finden, die alle Familien ansprechen. Kreative Methoden und themenoffene Gesprächsformate helfen dabei.
2. Vertrauen aufbauen in der Gruppe
Über persönliche oder schmerzhafte Themen vor anderen zu sprechen, fällt vielen Menschen schwer – besonders am Anfang.
Für Eltern:
Niemand muss gleich alles erzählen. Es ist okay, sich Zeit zu lassen. Viele erleben nach kurzer Zeit, wie wohltuend und stärkend es ist, gehört und verstanden zu werden – gerade von anderen Eltern, die Ähnliches durchmachen.
Für Fachkräfte:
Ein sicherer Rahmen ist essenziell. Dazu gehören klare Regeln (z. B. Vertraulichkeit, respektvoller Umgang), gemeinsames Aufwärmen, kleine Gruppenübungen und viel Geduld. Besonders wichtig ist: keine Bewertung, kein Druck zur Offenheit.
3. Dominanz und Zurückhaltung: Gruppendynamik moderieren
Manche Familien oder Familienmitglieder reden viel und wirken sehr präsent. Andere bleiben still, wirken unsicher oder ziehen sich zurück.
Für Eltern:
Es ist hilfreich, aufmerksam zuzuhören, Raum zu lassen – und auch selbst Mut zum Einbringen zu fassen. Jede Perspektive ist wichtig. Oft entdecken Eltern durch das Erzählen anderer neue Blickwinkel für ihre eigene Familie.
Für Fachkräfte:
Gruppendynamik aktiv zu steuern ist zentral: Dominanz zu begrenzen, leise Stimmen einzuladen und einen fairen Austausch zu ermöglichen. Methodenvielfalt, klare Moderation und das Einsetzen von Kleingruppenarbeit fördern Teilhabe.
4. Kulturelle und sprachliche Vielfalt
In vielen MFT-Gruppen treffen Familien mit verschiedenen kulturellen Hintergründen aufeinander. Das bereichert – kann aber auch Missverständnisse hervorrufen.
Für Eltern:
Manche Themen werden in unterschiedlichen Kulturen unterschiedlich gesehen. Das ist normal. Offenheit und Neugier helfen dabei, voneinander zu lernen. Es gibt kein "richtig" oder "falsch" – sondern verschiedene Wege, Familie zu leben.
Für Fachkräfte:
Kultursensible Haltung ist gefragt. Sprache sollte einfach und inklusiv sein, ggf. unterstützt durch Bilder oder Übersetzungen. Unterschiede dürfen benannt werden, aber nie pauschalisiert. Ziel ist ein wertschätzendes Miteinander.
5. Praktische Hürden: Zeit, Ort, Verlässlichkeit
Multifamilientherapie erfordert Organisation: regelmäßige Treffen, passende Räume, verbindliche Teilnahme. Das ist nicht immer einfach.
Für Eltern:
Arbeit, Kinderbetreuung, Schule – der Alltag ist voll. Doch wer die Teilnahme ermöglicht, erlebt oft, dass sich der Einsatz lohnt: für die Kinder, für die eigene Entwicklung, für die Familie als Ganzes.
Für Fachkräfte:
Planungssicherheit ist wichtig – aber auch Verständnis für familiäre Belastungen. Flexible Lösungen (z. B. Kinderbetreuung vor Ort, Snacks, klare Zeitfenster) erhöhen die Beteiligung. Absprachen sollten realistisch und transparent sein.
6. Hohe Anforderungen an das therapeutische Team
In der MFT agieren Fachkräfte nicht nur als Therapeutinnen, sondern auch als Moderatorinnen, Beobachterinnen, Vermittlerinnen und Impulsgeber*innen.
Für Fachkräfte:
Die Mehrdimensionalität der Rolle erfordert Teamarbeit, Supervision und Reflexion. Auch das eigene Verhalten – z. B. in Konfliktsituationen – kann zum Modell für die Gruppe werden. Präsenz, Klarheit und Selbstfürsorge sind zentrale Kompetenzen.
Für Eltern:
Die Therapeut*innen haben keine fertigen Lösungen – aber sie schaffen Bedingungen, in denen Familien eigene Lösungen entwickeln können. Vertrauen Sie auf den Prozess – auch wenn er manchmal herausfordernd ist.
7. Konflikte als Chance begreifen
Wo viele Menschen mit verschiedenen Bedürfnissen zusammenkommen, entstehen Reibungen. Das gilt auch für MFT-Gruppen.
Für Eltern:
Konflikte in der Gruppe sind nicht schlimm – im Gegenteil: Wenn sie gut begleitet werden, helfen sie, neue Wege zu lernen. Wie gehen wir mit Meinungsverschiedenheiten um? Wie äußern wir Kritik, ohne zu verletzen? All das ist Teil des gemeinsamen Lernens.
Für Fachkräfte:
Konflikte nicht vermeiden, sondern konstruktiv bearbeiten – das ist Teil der therapeutischen Arbeit. Deeskalation, Allparteilichkeit und Struktur geben Orientierung und Schutz.
8. Alltagstransfer und Nachhaltigkeit
Erkenntnisse in der Gruppe sind wichtig – doch sie müssen auch in den Alltag übergehen, um langfristig Wirkung zu entfalten.
Für Eltern:
Sprechen Sie mit Ihrer Familie über das, was Sie in der Gruppe bewegt hat. Probieren Sie Neues aus – auch wenn es nicht gleich klappt. Kleine Veränderungen können große Wirkung entfalten.
Für Fachkräfte:
Den Transfer gezielt fördern – z. B. durch Aufgaben zwischen den Sitzungen, Reflexionsrunden, begleitende Elterngespräche oder auch Vernetzung mit anderen Hilfesystemen (z. B. Schule, Jugendhilfe). Nachhaltigkeit braucht Nachbereitung.
Fazit: Gemeinsam wachsen – trotz Herausforderungen
Die systemische Multifamilientherapie ist kein einfacher, aber ein wirksamer Weg. Sie fordert – aber sie fördert auch: neue Perspektiven, gegenseitige Unterstützung, Hoffnung. Für Eltern bedeutet sie: nicht mehr alles allein tragen zu müssen. In einer respektvollen Gruppe erleben sie Verständnis, Rückhalt und Inspiration. Für Fachkräfte bedeutet sie: mit hoher Präsenz und Flexibilität einen Raum zu gestalten, in dem Veränderung möglich wird – auch und gerade, weil verschiedene Lebenswelten aufeinandertreffen. Wenn Eltern und Fachkräfte bereit sind, sich auf diesen Prozess einzulassen, kann Multifamilientherapie zu einem kraftvollen Impuls für individuelle und kollektive Entwicklung werden.
Optional für die Praxis:
- Eltern können ein Tagebuch führen über ihre Erfahrungen in der Gruppe.
- Fachkräfte profitieren von kurzen Blitzrunden am Ende jeder Sitzung („Was nehme ich heute mit?“).
- Eine Abschlussrunde mit Reflexion über den gemeinsamen Weg stärkt den positiven Transfer.
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